1.7 Kritik
Die menschliche Zivilisationhat sich durch Sprache, Kommunikation, Zugang zu Kulturgüternund Austausch von Informationentwickelt.
Die menschliche Kultur, sowohl technische Erfindungen als auch künstlerische Produkte, Mode, Architektur, Design, Musikoder Literatur, ist stets im Wandel, und baut dabei stets auf vorherigerInnovationauf. Neue Werke sind fast immer Weiterentwicklungen, Hybrideoder Verfeinerungen von älteren Ideen.
Kritiker des Schutzes von geistigem Eigentum behaupten, dass es mit Monopolenauf Information vergleichbar sei und eine schädliche und prohibitive Wirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft entfalten könne. Es ist umstritten, ob und inwieweit der Schutz geistigen Eigentums den Urhebern, z.B. Erfindern und Künstlern, zu Gute komme. Umstritten ist auch, wann und bei welcher rechtlichen Ausgestaltung der Schutz geistigen Eigentums der Gesellschaft nutzt. Somit ist eine Abwägung von Interessen von Rechteinhabern und Rechtenutzern, z.B. Konsumenten notwendig. Ein Beispiel sind die Rechte von pharmazeutischen Unternehmen an Medikamenten gegen AIDS, welche in armen Ländern für den größten Teil der Bevölkerung unbezahlbar sind.
Es wird oft kritisiert, dassRechteverwerterund Lobbyistenfür geistiges Eigentum kaum zu Kompromissen und Zugeständnissen bereit seien, sondern die gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen weiter verschärfen wollen.
Kritiker schlagen vor, die Möglichkeit inklusiven Gebrauchs möglichst weit auszunutzen - oder alternative Entlohnung der Urheber und Erfinder zu organisieren. Diese Entlohnung könne durch einen öffentlichen Träger, ein Pauschalvergütungssystem (Kulturflatrate) oder über eine Vergütungspflicht (statt eines Nutzungsverbots) oder auf freiwilliger Basis erfolgen.
Die wohl schärfste Kritik des Konzeptes des "Geistigen Eigentums" wurde von Eben Moglenin seinem Text dotCommunist Manifesto formuliert. Er argumentiert, dass etwas, das ohne Mehrkosten allen nützlich sein kann, doch niemanden vorenthalten werden darf:
Die Gesellschaft sieht sich mit der schlichten Tatsache konfrontiert, dass der Ausschluss vom Besitz schöner und nutzbringender intellektueller Erzeugnisse – und von dem Wert all dieser Wissenszuwächse für die Menschen –nicht länger der Moral entspricht, wenn jedermann sie zu den gleichen Kosten wie jede Einzelperson besitzen kann. Hätte Rom die Macht gehabt, jedermann zu ernähren, ohne dass daraus weitere Kosten als die entstanden wären, die für Cäsars eigene Tafel zu zahlen waren, hätte man Cäsar mit Gewalt verjagt, wenn noch irgend jemand hätte verhungern müssen. Das bürgerliche System des Eigentums verlangt jedoch, Wissen und Kultur nach Maßgabe der Zahlungsfähigkeit zu rationieren. --Eben MoglendotCommunist Manifesto.

Zumeist richtet sich Kritik jedoch nicht gegen geistiges Eigentum an sich. Kritisiert werden:
1.7.1 Strittige Einzelaspekte
  • Dauer von Schutzfristen, welche die Notwendigkeiten ökonomischer Anreizsetzung überschreiten und deutlich über typischen gewerblichen Amortisationsfristenliegen
  • Weiterbestehen der Nutzungsverbote für andere, auch wenn der geistige Eigentümer selbst keine Nutzung mehr betreibt
  • Umfang und Aufwand legislativer und exekutiver Staatstätigkeit zur Sicherung geistigen Eigentums, womit Etatismusbegünstigt werde
  • Hemmung und Benachteiligung der Wirtschaftstätigkeit kleinerer und mittlerer Firmen durch Rechtsrisiken
  • Erschwerte Möglichkeit für kleinere und mittlere Firmen an gegenseitigen Lizenzvereinbarungen größerer Untertnehmen teilzunehmen
  • Verrechtlichung der Gesellschaft und Anwachsen von Rechtsstreitigkeiten im Fall der Ausweitung von Immaterialgüterrechten
  • Im Urheberrecht: Privatkopieund technische Kopierschutz-Maßnahmen
  • Im Patentrecht: Schutz biotechnischer Erfindungen, Softwaresowie die Standardisierungpatentierter Verfahren. Weiter kritisiert wird, dass der Patentschutz auch dann besteht, wenn der Rechtsinhaber ein Patent innehat, dieses aber nicht nutzt. Ein solches Verhalten dient insbesondere der ungestörten Weiterverwertung bestehender Produkte und Abschottung gegen den Geschäftsbereich des eigenen Unternehmens bedrohende Produkte und ist somit kontraproduktiv zum ursprünglichen Sinn und Zweck der Patentgesetze als Innovations- Förderungsmaßnahme.
  • Im Markenrecht: Reichweite derVerwechslungsgefahr
  • Die vielerorts nur nationale bzw. regionale Geltung der Erschöpfung, die Grauimporteverbietet
  • Die Unterbindung von freien Wettbewerb z.B. im Softwaremarkt durch Schutz für Trivialpatente
  • Überforderung von Gerichten und anwachsende Zufälligkeiten in der Rechtsprechungspraxisdurch die zunehmende Komplexität des Immaterialgüterrechts
  • Die Einschränkung von Individualrechten und Datenschutzbei der Verfolgung von mutmaßlichen Verstößen gegen Immaterialgüterrechte
  • Durchsetzung und häufiger Missbrauch durch Abmahnungengegenüber Privatpersonen bis hin zu damit verbundenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit

In einigen Fällen, wie im Fall der freien Software, bedienen sich Kritiker zur Sicherung der Allgemeinverfügbarkeit freier Software selbst Formen geistigen Eigentums, was wiederum von Firmen wie Microsoftund SAPals "Kommunismus" kritisiert wurde.
1.7.2 Globalisierung
Globalisierungskritikerbringen vor, geistiges Eigentum nütze einseitig Industriestaaten und sei ein Mittel, Entwicklungs-und Schwellenländerauszubeuten bzw. übe eine unfaire, entwicklungshemmende Wirkung aus. Gerade diese Länder jedoch setzen in neuerer Zeit immer mehr Gesetze zum geistigen Eigentum um, teils, da sie darin Vorteile für ihre eigene Wirtschaft sehen, teils aufgrund wirtschaftlicher Zwänge und wegen internationalen politischen Druck, z.B. über die WTO.
Dieser Druck wird teils auch durchfremdenrechtlicheReziprokitätsklauseln ausgeübt. Das bedeutet, Angehörige eines fremden Staats erhalten nur insoweit Schutz, als ihr Herkunftsland den eigenen Bürgern Schutz gewährt. Reziprozitätsklauseln wirken wie eine protektionistischeHandelsbeschränkung (Inländer können den Vertrieb ausländischer Produkte unterbinden, ohne dass Ausländer ähnlichen Schutz erhalten), solange der andere Staat kein ähnliches Gesetz erlässt. Abhilfe schaffen hierbei bi- und multilaterale Abkommen (wieTRIPS), die stattdessen Mindestschutzniveausund das Meistbegünstigungsprinzipvorsehen.
Die meisten Übereinkommen enthalten außerdem meist nur Mindestschutzniveaus, aber keine Höchstschutzniveaus oder Regeln über Schranken. Die Vereinheitlichung nutzt damit vor allem den Rechtsinhabern, aber nicht Dritten oder der Allgemeinheit, die sich nicht auf ein „Mindestfreiheitsniveau“ verlassen können. Dies ist vor allem bei Veröffentlichungen im Internetproblematisch, da ein Rechtsinhaber hier leicht „forum shopping“ betreiben und sich die restriktivste Auslegung aussuchen kann.
Bei der Harmonisierung setzt sich darüber hinaus meist das weitest gehende Recht durch, z. B. im Urheberrecht eine Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Autors. Nimmt man an, dass der Umfang des Schutzes im internationalen Mittel einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Inhaber des Schutzrechts und der Allgeimeinheit darstellt, so verschiebt sich dieser zugunsten des Inhabers.
1.7.3 Geistiges Eigentum ohne Rechtswirkung
Der Begriff geistiges Eigentum ist ein politischer Begriff, weil materielle Vorteile von den Implikationen des Begriffs geistiges Eigentum abhängen. Im praktischen Recht spielt er keine Rolle. Da werden die von ihm zusammengefassten Einzelrechte verhandelt. Der Begriff existiert also vornehmlich im internationalen Recht mit politischer Agenda.
Unabhängig von seiner Rechtswirkung hat der Begriff aber eine Bedeutung in der Theorie, so langeKreativitätund Erfindunganalysiert werden. Der Prioritätenstreit zwischen Newtonund Leibnizüber die Erfindung der Infinitesimalrechnungbezog sich nicht auf Patentrechtund materielle Nutzung, sondern auf den Anspruch derOriginalität.