6.8 Patenttheorie
6.8.1 Positive Patenttheorien
Zur Rechtfertigung des positiven Patentsystems sind verschiedene Ansätze in der Rechtswissenschaft entwickelt worden:
  • Die Eigentumstheorieerkennt Erfindungen als Ausdruck der Persönlichkeitdes Erfinders an, das heißt dessen individuellerFantasieund technischen Geschicks. Diese Eigentumstheorie beantwortet nicht die normative Frage der Ausgestaltung eines Patentsystems, sondern ist nur als positive Theorie zulässig.
  • Die Belohnungstheoriemöchte den Erfinder für seine Mühen und seine Offenbarung als „Lehrer der Nation“ und „Wohltäter der Allgemeinheit“ belohnen. Bei besonderer Betonung des Offenbarungserfordernisses wird die Belohnungstheorie, vor allem im angelsächsischen Rechtskreis, auch Vertragstheorie genannt: Der Erfinder mehrt im Sinne eines synallagmatischen Vertrages im Gegenzug für die Patentierung das für die Allgemeinheit verfügbare technische Wissen.
  • Die Anspornungstheorieführt an, dass die individuelle Bereitschaft, in Innovationenzu investieren, durch die Aussicht auf eine staatliche Monopolverleihung gefördert werde. Belohnungs- und Anspornungstheorie können als zwei Seiten einer Medaille angesehen werden: Während sich die Anspornungstheorie auf den volkswirtschaftlichen Nutzen der Monopolverleihung aus der ex ante-Perspektive bezieht, legitimiert die Belohnungstheorie diese Monopolverleihung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten aus der ex post-Perspektive.
  • Ferner wird nach der Veröffentlichungstheorie betont, dass Erfindungen erst infolge der Verleihung eines Ausschließlichkeitsrechts nicht mehr geheimgehalten werden müssen, also zu verkehrsfähigen Rechtsgütern werden, die dann nach einer Lizenzierung effektiver von spezialisierten Marktakteuren genutzt werden können. Schließlich begünstigt die Möglichkeit einer exklusiven Lizenzierung Folgeinnovationen, indem deren Ertragserwartung stabilisiert wird. Prämisse für den volkswirtschaftlichen Nutzen des Patentsystems ist, dass die durch die eingeschränkte Nutzbarkeit von vorhandenen Erfindungen hervorgerufene Minderung der allgemeinen Wohlfahrt von der durch den verstärkten Anreiz zur künftigen Schaffung von Erfindungen hervorgerufenen Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt übertroffen werde. Oder, wie eine Enquete-Kommissiondes Bundestages diese Interpretation des sog. Informationsdilemmas beschreibt: Gewerblicher Rechtsschutz verringere den „social welfare loss due to underproduction“ unter Inkaufnahme eines „social welfare loss due to underutilization.“ [49]
  • Die Umgehungstheorie behauptet, dass ein Patent als künstliche Hürde dazu anrege, andere Lösungen, noch nicht patentierte Lösungen zu entwickeln. Z.B. wenn der Ottomotor patentiert ist, wird im Bereich des Wankelmotor geforscht.
6.8.2 Negative Patenttheorien
  • Die Idee des freien Marktesbesagt, dass Monopole Schaden bei Verbrauchern anrichten, weil diese stark überhöhte Preise zahlen. Diese zahlen, so Kritiker unter Berufung auf Statistiken, sehr viel mehr, als für die Entwicklung von neuen Erfindungen ausgegeben werde. Folglich sei das Patentsystem zwar ein Anreizsystem, um in Forschung und Entwicklungzu investieren, es sei aber viel ineffizienter, kein Patentsystem und daher viel niedrigere Preise für die relevanten Produkte zu haben und über Steuernz.B. auf diese Produkte eben diese Forschung und Entwicklungdirekt zu finanzieren.
  • Da immer mehr Patente pro Jahr angemeldet werden und die Laufzeiten dieser konstant bleiben kann es für kleine oder neue Firmen ohne Patente immer schwieriger werden zu überleben. Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit bis die Anzahl der angemeldeten Patente so hoch steigt, dass Firmen ohne Lizenzeinnahmen ihre Ausgaben für Lizenzen nicht mehr decken können.
  • Die Auslegung der Begriffe „Erfinderische Tätigkeit“, „Technizität“, „Gewerbliche Anwendbarkeit“ u.s.w. durch die Patentämter und durch die zuständigen Gerichte ist nicht einheitlich. Diese rechtliche Unklarheiten können auch nicht komplett durch besondere Definitionen oder Gesetze ausgeräumt werden (Beispiel Softwarepatent). Rechtliche Unklarheiten führen im freien Markt zu wirtschaftlichen Unklarheiten, die die Investitionen aufgrund fehlender Sicherheit beschränken. Dies betrifft wieder besonders kleinere Unternehmen die sich aufgrund fehlender finanzieller Rücklagen für lange und aufwändige rechtliche Auseinandersetzungen, für Niederlagen vor Gericht oder für Ablehnungen im Patentamt keine Sicherheiten erkaufen können.
  • Aus der oben genannten Umgehungstheorie folgt auch, dass viele unnötig komplexere und weniger optimale Lösungen auf den Markt kommen nur um Lizenzkosten zu sparen.

Die genannten theoretischen Ansätze schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich bei der Erklärung einzelner Aspekte des Patentsystems. Die größte Bedeutung wird wohl verbreitet der Anspornungstheorie zugemessen. Inhalte und Grenzen des Patentrechtes festzulegen ist Aufgabe des Gesetzgebers. Als struktureller Eingriff in den Markt sollte das Patentrecht ökonomisch gerechtfertigt sein. Für die normative Frage der Ausgestaltung von Patentrechten sind für die aufgeführten rechtswissenschaftlichen Wirkungshypothesen eine ökonomische Abwägung vorzunehmen.
Beispiel: Die Entscheidung sei, ob Patentrecht auf literarische Ideen angewendet werden soll. Es genügt dann z.B. nicht zu behaupten, dass Patente einen Ansporn für Literaten bedeute. Vielmehr muss Zielkonformität herrschen. Das heißt, der Gesetzgeber muss einen Ansporn geben wollen, um damit ein kollektives Ziel zu erreichen. Da literarische Ideen zum Beispiel nicht knapp sind, könnte ein Ansporn unnütz sein. Da im Bereich der Literatur nach Verkehrssitte nicht die Idee, sondern das Werkzählt, dürfte die Anwendung des Rechtsinstrumentes das falsche Objekt fördern. Drittens müssen negative Effekte des Eingriffes gegen mögliche positive Effekte aufgerechnet werden. Viertens können systematische Erwägungen oder z.B. ethische Erwägungen eine Rolle spielen. Fünftens könnten alternative Schutzrechte und Instrumente ins Kalkül gezogen werden, z.B. ein sui generis Recht für literarische Ideen, Literaturwettbewerbe, Subventionen.