6.2 Geschichte
6.2.1 Der Ursprung des Wortes Patent
Der Ursprung des Worts „Patent“ liegt in königlichen Erlässenund Verordnungen. Diese Patente hatten die Form von offenen Briefen(das heißt man konnte sie lesen, ohne ein Siegelzu brechen), und wurden in England „Letter Patent“ (lat.: litterae patentes = offene Briefe) genannt und begannen oft mit „To whom this is shown“, „To whom this may belong“ oder ähnlichen Phrasen (letztere bildet noch immer das Dekor der Patenturkunden des United States Patent and Trademark Office).
Patente waren vom Herrscher ausgestellt und richteten sich an alle Untertanen. Seit dem 13. Jahrhundert gab es in England solche Urkunden. Ein Patent konnte für viele Zwecke gewährt werden z. B. die Ernennung von Offizieren, Vergabe von Konzessionen, Monopolgewährung für Handel und Verkauf oder auch die Lizenz zum Landerobern: Ein Patent aus dem Jahr1496gestatteteJohn Cabot, „to sail, to conquer, to own heathen land, and to exclude others from so doing“.
Im 14. Jahrhundert war die gewerbliche Tätigkeit in England gegenüber dem Kontinent noch im Rückstand. Die englischen Könige begannen damit, fremde Fachleute nach England zu rufen und ihnen Schutzbriefezu erteilen.
Erste Ansätze zum Erfindungsschutz finden sich im böhmischen und sächsischen Bergrecht. Im Venedigdes Jahres 1469gab es ein Privileg für die Einführung des Buchdrucks. [1]Dieser Schilderung zufolge stammt der Wortstamm „erfinden“ vom „fündig werden“ aus dem Bergbau.
6.2.2 Geschichte der Patentgesetze
Im Mittelalterwaren Erfindungen (relatives) Gemeingut, d.h. sie gehörten allen Mitgliedern einer Zunft. Außenstehende durften diese Erfindungen nicht nutzen, wobei der Ausschlussgrund hierbei im Regelfall die fehlende Zunftzugehörigkeit war. 1406 wurde einem Michael Brod ein Erfinderprivileg für eine „Wasserkunst“ verliehen. Aus dem Jahr 1421 stammen die Aufzeichnungen über ein Patent für eine industrielle Erfindung. Damals wurde Filippo Brunelleschifür drei Jahre das alleinige Recht zur Herstellung eines Schiffs mit einer Hebevorrichtung zum Marmortransport verliehen.
Das erste Patentgesetz im heutigen Sinne wurde in Venedigim Jahr 1474erlassen,[2][3]gefolgt von den Statute of Monopoliesin England(1623)[4]und Frankreich(1787).[5]Das „Statute of Monopolies“ gilt als Vorbild für die Patentgesetze weltweit.
Im 16. Jahrhundert wurden von deutschen Fürsten Monopole in größerem Stil verliehen. Teilweise wurden diese Monopole als Patente bezeichnet. Diese Monopole unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von Patenten im heutigen Sinne. Patentrechtliche Regelungen gab es in den deutschen Einzelstaaten erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, insgesamt 29 Patentgesetze mit jeweils territorialer Wirkung. Alle diese deutschen Gesetze schützten die Erfindung dadurch, dass die erteilten Patente bis zu ihrem Erlöschen geheim gehalten wurden. Patentiert wurden sowohl neue Erfindungen als auch erprobte gewerbliche Verfahren, die aus dem Ausland eingeführt wurden. Einige Privilegienboten Schutz gegen Nachahmung(Monopolrechte), andere Schutz gegen einschränkende Zunftbestimmungen (und somit gegen Monopole und für mehr Wettbewerb). Den letztgenannten Privilegien wird nachgesagt, dass sie der Befreiung der Industrie von allzu einengenden Regelungen durch Zünfte und Behörden dienten und somit die industrielle Revolutionin England förderten. Patente für Monopole, die Günstlingen des Hofes oder Geldgebern der königlichen Kasse zugute kamen, wurden in England nach 1560sehr zahlreich, und die Missbräuche führten zunehmend zu einer allgemeinen Unzufriedenheit.
Der erste Patentverletzungsprozess wurde 1593 wegen eines „newerfunden Mühlwerckh“ zum Schleifen von Halbedelsteinen in Nürnberg geführt. Der selbe Schutzrechtsinhaber erwirkte 1601 gegen einen anderen Verletzer einen Unterlassungsanspruch und eine Strafe von 10 Gulden. Am 1. September 1602 wurde in Nürnberg ein Patentverletzer „in Eisen gelegt“ und erlangte erst nach „Abschwörung“ und Zahlung der Haftkosten die Freiheit. Eine Trennung zwischen Zivil- und Strafprozess war damals nicht gegeben. Der Patentinhaber erhielt einen Teil der Strafe als Entschädigung.
Sir Francis Bacon, der große Wissenschaftler, Philosoph, Staatsmann und Zeitgenosse von Shakespeare, wurde 1621wegen Bestechungverurteilt. Entgegen seinen eigenen öffentlichen Äußerungen erteilte er als Großsiegelbewahrerund Großkanzlerder englischen Krone weiterhin willkürliche Monopole, die für ihre Inhaber von großem Nutzen, für die Gesellschaft insgesamt aber unerträglich waren. Unter anderem unterlag der Handel mit Johannisbeeren, Salz, Eisen, Pulver, Spielkarten, Kalbshäuten, Segeltuch, Ochsenknochen, Tranöl, Gewebesäumen, Pottasche, Anis, Essig, Kohle, Stahl, Branntwein, Bürsten, Töpfen, Salpeter, Blei, Öl, Glas, Papier, Stärke, Zinn, Schwefel, getrockneten Heringen, die Ausfuhr von Kanonen, Bier, Horn, Ledersowie die Einfuhr spanischer Wolleund irischen GarnenMonopolen. Diese Privilegien waren ohne Rechtsgrundlage und wurden daher weitgehend abgelehnt.
Diese Privilegienpraxiswar vor allem in England weitverbreitet. Schon 1601musste die englische Krone die drückendsten Monopoleauf unentbehrliche Waren und Nahrungsmittel aufheben,1623folgte das bekannte „Statute of Monopolies“, das weitgehende Einschränkung der Monopole bedeutete.
Ein entscheidender Durchbruch für die gesellschaftliche Akzeptanz von Patenten bildete ihr Beitrag für das Wirtschaftswachstum im 19. Jahrhundert. Die Einführung des Grundsatzes der Zwangslizenz- einer (allerdings nur sehr selten genutzten) Möglichkeit des Eingriffs durch den Staat erhöhte ferner die Akzeptanz. In ganz bestimmten Notsituationen, wie z. B. im Zweiten Weltkrieg in Amerika, wurden Erfinder gesetzlich gezwungen, allen Bewerbern Lizenzen zur Benutzung ihrer Erfindung gegen ein angemessenes Entgelt zu gewähren. In Deutschland kann beimBundespatentgerichteine Zwangslizenz ggf. auch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, d.h. sehr kurzfristig erwirkt werden. Das letzte bekannte Verfahren war 2003, welches mit einem außergerichtlichen Vergleich endete. Durch diesen in der Praxis nur wenig genutzte Möglichkeit wurde der Weg für umfangreiche Patentgesetze in vielen Ländern im 18. Jahrhundert geebnet.
Nach der Gründung des Deutschen Reichsim Jahre 1871wurde zunächst kontrovers auch über einen einheitlichen Patentschutz diskutiert. Noch im Jahre 1864 forderten die deutschen Handelskammern die Abschaffung der Patente, weil diese „schädlich für den allgemeinenWohlstand“ seien. Auf Drängen des VDIund des Patentschutzvereins (Werner von Siemens) trat das Patentgesetz am 1. Juli1877in Kraft. Erst ab diesem Zeitpunkt wurden erteilte Patente auch veröffentlicht. Das erste Patent wurde am 2. Juli1877 als Patentschrift No. 1 an Joh. Zeltner für ein „Verfahren zur Herstellung einer rothen Ultramarinfarbe“ vergeben.
Die weitere Entwicklung zum modernen Patentrecht war vor allem durch die Idee geprägt, dass der Verleihung eines Monopols eine entsprechende erfinderische Leistung voran gehen muss. Die wichtigsten Kriterien des Patentrechtes beruhen in der Theorie auf dem Prinzip von Leistungund Gegenleistung.
Der Ausschluss der Patentierung von Entdeckungen, Ideen und bereits bekannten Erfindungen soll vor allem dazu dienen, den Nutzen des Patentrechtes für den Schutzrechtsinhaber abzusichern, der in die Entwicklung oft hohe Kosten investierte. Die willkürliche Vergabe von Privilegien wurde abgelöst durch einen detailliert gestalteten Interessenausgleich.
Jedoch wird dieses Prinzip von Leistung und Gegenleistung bzw. der insgesamt positive Ausgleich in den neueren Erweiterungen des Patentrechts, zum Beispiel im Bereich der Gene, bestritten. So gelang es der amerikanischen FirmaMyriadüber eine Hand voll vom EPAerteilter Patente eine Reihe in Europa bereits allgemein angewendeter Brustkrebstests zu patentieren. Dadurch, dass Myriad in Folge die Durchführung dieser an sich günstigen und bereits erfolgreich klinisch angewendeten Tests in Europa dadurch verbieten lassen konnte und seither die Durchführung dieser Test nur in den firmeneigenen Labors in den USAgeschieht, müssen die Blutprobenin die Vereinigten Staaten geschickt werden, sofern man kein Verfahren auf Zwangslizenzierung einleitet. Myriad hat zudem einen sehr hohen Preisfür diese Tests angesetzt, die zuvor bereits viele Labore preisgünstiger durchgeführt haben. Des Weiteren gelang es Myriad durch diese Patenterteilungen, dass alle zukünftigen Entdeckungen zum entsprechenden Gen auf 20 Jahre unter ihrem Monopol stehen. Eine ähnlich umstrittene Situation, in der der Sinnund der Ausgleichangezweifelt wird, gibt es heute bei "computerimplementierten Erfindungen", in der allgemeinen Öffentlichkeit: „Softwarepatenten“.